Linke und rechte Massnahmenkritik

Linke und rechte Massnahmenkritik: Was ist der Unterschied?

Eine genaue Analyse

Während für bürgerliche und konservative KritikerInnen die staatlichen Massnahmen der Pandemiebekämpfung in erster Linie ein (unverhältnismässiger) Eingriff in die persönlichen Freiheitsrechte und Wirtschaftsfreiheit darstellen, versuchen wir als Linke, diese ganze Entwicklung in einen historischen Zusammenhang einzuordnen. Die sogenannte „Gesundheitskrise“ wurde benutzt, um systemische Probleme der neoliberalen Wirtschaftsweise zu meistern und den Fortbestand „des Kapitalismus“ zu sichern. (Andrea Komlosy und Fabio Vighi haben dazu in ihren Referaten in der Reihe „Offene Debatten“ von Linksbündig viele handfeste Inputs gegeben). 

Wenn nun die rechte Massnahmenkritik den „Vor-Corona-Kapitalismus“ als Idealzustand wiederherstellen will, sind aus linker Sicht die systemischen Widersprüche des Kapitalismus überhaupt erst Ursprung und Grund für die Entwicklung hin zum autoritären Massnahmenstaat. Die Massnahmen hatten nie zum Ziel, den Kapitalismus zu zerstören oder einen wie auch immer gearteten „Sozialismus“ zum Durchbruch zu verhelfen. Hier irren die rechten KritikerInnen fundamental. Ein linkes Verständnis von Gleichheit geht nie mit einer Beschneidung der Grundrechte einher, sondern mit Emanzipation und gesellschaftlicher Teilhabe für alle. 

Es ist niemandem geholfen, wenn ein Bill Gates eliminiert wird, auch wenn die Rolle und Profitinteressen einzelner Kapitaleigner im Zuge der Pandemiemassnahmen natürlich angeprangert werden müssen. Die Fokussierung auf einzelne Akteure und Profiteure der Entwicklung der letzten Jahre ist nicht links. Es gilt, ein System zu kritisieren, welches überhaupt erst Macht- und Kapitalkonzentration in Form von Milliardären und internationalen Konzernen ermöglicht. 

Die Ökonomisierung des Gesundheitswesens war schon lange vor den Pandemie-Einschränkungen im Gange. Privatisierung und Spardruck machten aus der Pflege ein profitorientiertes Investitionsfeld, unfähig auf eine neue Krankheit adäquat zu reagieren. Wie für alle anderen Gesellschaftsbereiche gilt auch für das Gesundheitswesen: Die neoliberale Wirtschaftsweise ist auf kurzfristige Profite ausgerichtet, auf lange Sicht zerstört sie die Grundlagen menschlichen Zusammenlebens und die Qualität der umstrukturierten Gesellschaftsbereiche. Als Linke wollen wir ein starkes Gesundheitswesen ohne ökonomische Interessen, der Abbau des Gesundheitswesens erfolgte auf Druck von rechter und bürgerlicher Seite. 

Linke Kritik beurteilt die Auswirkungen staatlicher Massnahmen auf globaler Ebene. Was für reiche Länder und vermögende Menschen als kurze Auszeit vom stressigen Akkumulationsalltag erscheinen mag, hatte im globalen Süden und auf die Lebenssituation von MigrantInnen und Armen existentielle, lebensbedrohliche Auswirkungen. 

Als Linke dürfen wir nicht vergessen, dass auch ohne Einschränkungen der bürgerlichen Grundrechte nach wie vor ein erheblicher Teil der hier lebenden Menschen kein Wahl- und Stimmrecht besitzt. Linke Massnahmenkritik beinhaltet auch die Forderung nach gleichen Rechten für Alle. Die widerständlerische Mentalität der „alten Eidgenossenschaft“ verstehen wir durchaus als emanzipatorisch. Die patriotische Grundgesinnung grosser Teile der massnahmenkritischen Bewegung beurteilen wir aber als ausgrenzend und rückwärtsgewandt und wir erkennen im Patriotismus keinen Lösungsansatz gegen die totalitären Entwicklungen des Massnahmenstaates. 

Im Jahre drei der Pandemie beteiligen sich nun weite Teile der „Bürgerrechtsbewegung“ an den Nationalratswahlen. Da die „Pandemie-Massnahmen“ längst aufgehoben und die mentalen und medialen Verdrängungsmechanismen scheinbar einer natürlichen Gesetzmässigkeit folgen (die Zeit heilt alle Wunden), ist nun der dem Patriotismus innewohnende latente Rassismus der rechten „WiderständlerInnen“ klar sichtbar als Polarisierungssubjekt an die Oberfläche gespült worden. 

Die historische Funktion des Rassismus ist die Spaltung der ausgebeuteten Klasse. Rassismus bedient sich dem genau gleichen Sündenbockreflex, welcher von der Massnahmenkritik in Zeiten zertifizierter Ausgrenzung von Ungeimpften angeprangert wurde. Der Widerspruch ist offensichtlich: Wenn Massvoll-Rimoldi nun gemeinsam mit der Jungen Tat in Chiasso einen „symbolischen Grenzzaun“ errichtet, hat er wohl vergessen, dass genau der von ihm so verhasste Bundesrat die Grenzen während der Pandemie mit Zäunen gesichert hat. 

Die Linke strebt soziale Gleichheit an. Die rechte Antwort auf die sich verschärfenden Klassenwidersprüche ist die Forderung nach Auflösung des „Links/Rechts“ Schemas. Für die „Unten“ wird die völkische Gleichschaltung angeboten. Historisch neu ist diese Strategie der Rechten nicht. Funktioniert hat sie jeweils, wenn die Linke sich zur Verteidigung des kapitalistischen Staates als kleineres Übel entschieden hat. Damit hat sie sich jeweils selbst für die da „Unten“ unglaubwürdig gemacht. 

Die etablierte Linke hat es nicht verstanden, den Unmut breiter Gesellschaftsschichten gegen einen autoritären Staat aufzunehmen und eine linke Perspektive einzubringen. Stattdessen wird versucht, die eigene Orientierungslosigkeit durch Abgrenzung gegen Rechts zu kompensieren.

Linksbündig fordert eine ehrliche innerlinke Diskussion über dieses Versagen, ohne Diffamierung andersdenkender Linker. Auch in den am Horizont erscheinenden, kommenden Verteilungskämpfen werden sich die von „Unten“ nicht an die korrekte linkskonforme Ausdrucksweise und linke Identitätspolitik halten. Warum sollten sie auch? 

Diese Schwäche der Linken macht überhaupt erst das Erstarken der Rechten möglich.