Never waste a good crisis
Der Bundesrat will die neuen Internationalen Gesundheitsvorschriften (IGV) der WHO nicht dem Parlament vorlegen.
Die Jurist:innen in der Bundesverwaltung kommen zum Schluss, dass der Bundesrat die neuen globalen Regulierungen auf dem Verordnungsweg umsetzen kann, weil es dazu keine neuen Gesetze brauche. Hängig ist eine Motion, die besagt, dass alle Verhandlungen mit der WHO dem Parlament zur Abstimmung vorzulegen seien. Sowohl National- als auch Ständerat haben der Motion zugestimmt.
Das Parlament wird umgangen und die Stimmbürger:innen werden nicht gefragt, ob sie den IGV zustimmen wollen oder nicht. «Um dem grossen öffentlichen Interesse Rechnung zu tragen» und um die Gemüter zu beruhigen, führt der Bundesrat nun eine Vernehmlassung über die geänderten IGV durch. Die Frist läuft bis am 27. Februar 2025. Die Zeit ist knapp, weil die 196 Vertragsstaaten der WHO bis am 24. Juni 2025 ihren Rücktritt von den IGV bekannt geben müssen. Andernfalls treten sie weltweit automatisch in Kraft.
Die WHO erhält mehr Macht und Kompetenzen gegenüber den Vertragsstaaten (die Schweiz ist ebenfalls Vertragsstaat). In den vergangenen Jahrzehnten hat die WHO zunehmend die öffentliche Gesundheit den Interessen der Pharma-Konzerne unterstellt. Ihr einstiger Hauptauftrag hingegen, eine weltweite Gesundheitsversorgung sicherzustellen, ist in vielen Regionen der Welt nicht oder nur ungenügend erreicht.
Solche Entwicklungen schaffen kein Vertrauen. Zudem hat es der Bundesrat bis heute nicht geschafft mit der grundlegenden Aufarbeitung aller Ungereimtheiten der Corona-Krise zu beginnen. Auch dieser Umstand schafft kein Vertrauen. Die neuen IGV «empfehlen» beispielsweise die Bekämpfung von Fake News während einer gesundheitlichen Notlage. Heute ist bekannt, dass etliche Massnahmen im eingeschränkten[1] wissenschaftlichen Konsens der Covid-19 Science Task Force getroffen worden sind und sich später als falsch herausgestellt haben. Wie solche «Fake News» in Zukunft verhindert werden, wäre ein wichtige Frage, die der Bundesrat noch nicht beantwortet hat.
Bemerkenswert und ein eigentlicher Skandal ist auch Folgendes: Während die erweiterten IGV angeblich keine neuen gesetzlichen Grundlagen brauchen, würde die Teilrevision des Epidemiengesetzes (EpG), gerade dazu dienen, eben jene notwendigen gesetzlichen Grundlagen zu schaffen. Im teilrevidierten EpG müsste auch einfliessen, was die erwähnte Motion will: Verhandlungen mit der WHO liegen nicht mehr in der Kompetenz des Bundesrates, sondern sind dem Parlament vorzulegen. Die Vernehmlassung zum EpG ist bereits seit dem 22. März 2024 abgeschlossen. Dem Parlament zur Annahme vorgelegt wird die Teilrevision des Epidemiengesetzes jedoch erst im Jahr 2025. Die notwendigen gesetzlichen Grundlagen werden also ev. erst kurz vor dem 19. Juli 2025 geschaffen und bestehen nicht bereits heute. Bis zu diesem Datum könnte die Schweiz eine stillschweigende Annahme der neuen IGV verhindern, indem sie der WHO den Austritt aus den erweiterten IGV mitteilt.
Die Annahme der Teilrevision des Epidemiengesetzes könnte jedoch theoretisch bereits im Parlament scheitern, oder es könnte ein Referendum dagegen ergriffen werden. Dann ist zumindest die gesetzeskonforme Umsetzung der erweiterten IGV vorläufig nicht möglich.
Wie es dann weitergeht, bleibt offen. Dieser Zusammenhang wird aber offensichtlich nicht transparent gemacht. Hier klar zu kommunizieren, wäre eigentlich die Aufgabe des Bundesrates, sich hier zu informieren die Aufgabe der Parlamentarier:innen. Zu hoffen ist, dass sich alle Akteur:innen ihrer Verantwortung bewusst werden. Hier wird schlicht und einfach nicht mit offenen Karten gespielt.
«Verschwende nie die Möglichkeiten einer Krise», scheint auch ein Motto unserer Regierung zu sein.
Christian Baur und Lydia Elmer, Linksbündig
Originalversion der beschlossenen IGV und Erläuterungen dazu
[1] Die Covid-19 Science Task Force fehlte die demokratische Legitimation und erfahrene Forscher sind ausgeschlossen worden. Der wissenschaftliche Diskurs verlief einseitig, unter Gleichgesinnten.