Alternativlosigkeit

 
 

Narrativ der Alternativlosigkeit

Spitalbetten-Abbau während der Krise?
| Lydia Elmer

Jedes Unternehmen weiss, was zu tun ist, wenn der Personalbestand nicht mit der Auftragslage übereinstimmt. Wenn dem Unternehmen darüber hinaus bewusst ist, dass es die Fachleute seiner Branche gibt, aber sie in den letzten Jahren in andere Bereiche abgewandert sind, dann wird eine Rückholoffensive[1] gestartet. Selbstverständlich mit einem attraktiven Angebot.

Nicht hingegen das Gesundheitswesen. Wir haben in der Pandemie einen nie dagewesenen Notstand mit schlimmsten Prophezeiungen gehabt. Für die ganze Bevölkerung wurden einschneidende Massnahmen verordnet, um eine Überlastung der Intensivstationen und Abteilungen in den Spitälern zu vermeiden. Aber die Verantwortlichen wissen sich offenbar nicht zu helfen. Es fehlt nicht an Betten, sondern an Personal[2] lautet der Tenor. Weshalb hat man nichts getan, um neues festangestelltes Personal zu gewinnen? Sind die Gesundheitsdirektoren (7 Frauen von 27) dem eigenen Narrativ der Alternativlosigkeit erlegen? Oder hatte man etwa Angst in der Krise rekrutiertes Personal in der Nachfolgezeit nicht mehr loszuwerden? Weshalb ist der Staat nicht bereit gewesen - die PolitikerInnen von links bis rechts- für eine Aufstockung aller nötigen Gesundheitseinrichtungen zu sorgen?[3] Weshalb sind viele MassnahmebefürworterInnen so schnell bereit, diesen Staat zu verteidigen, der die Grundversorgung in den letzten 20 Jahren an die Wand gefahren hat, den Personalbestand geschrumpft, so dass das System mit im Schnitt 267 Covid-Kranken[4] zusätzlich auf den Intensivstationen am Rand steht? Weshalb verteidigt man diesen Staat, der während der letzten zwei Jahre seine zentralistische Spitalplanung unbesehen der Krise weitergeführt und die Schliessung von fünf Regionalspitälern[5] vorantreibt oder schon geschlossen hat? Inklusiv der Ausbildungsplätze?

Eine auffallende Übersterblichkeit ist praktisch nur in der Altersklasse 80+ zu beobachten: Weshalb ist es diesem Gesundheitssystem nicht gelungen die vulnerable Bevölkerung in den Langzeitheimen zu schützen?

Weshalb verteidigt man trotz dieser Ungereimtheiten weiterhin das Narrativ der Alternativlosigkeit?

Wir fordern 60 Prozent Arbeit für 100 Prozent Lohn für alle im Gesundheitsbereich Tätigen (inkl. Küchen-, Labor- und Reinigungspersonal, Akut-, Langzeit-, Psychiatrie-, Reha- und Spitexpflege)

15.2.2022/LEL

[1] Begriff entlehnt von Adrian Riklin, WOZ

[2] Die Beschäftigungslage ist je nach Kanton unterschiedlich: von 2.5 Personen (Wallis) bis 4.2 (Zürich) oder Luzern (4.8) pro Vollzeitäquivalent https://www.atlas.bfs.admin.ch/maps/13/de/16401_7287_4422_7264/25589.html

[3] Für Wirtschaftshilfe in anderen Branchen infolge der Massnahmen wurden hingegen 40-50 Milliarden gesprochen.

[4] Vgl https://www.infosperber.ch/gesundheit/public-health/ex-spitaldirektor-warum-haengt-alles-von-865-intensivbetten-ab/

[5] Spital Laufen, BL 2021 umgewandelt in ein Ambulatorium und vier Regionalspitäler im Kt. St. Gallen (Rohrschach und Flawil sollen 2021, Wattwil 2024, Altstätten 2027 in Gesundheits- und Notfallzentren umgewandelt werden. 2021 wurde das Spital Heiden geschlossen; minus 180 Stellen und die Bettenstation Appenzell; minus 60 Stellen. Die Gesundheitsökonomen argumentieren, dass die ambulanten Behandlungen zunehmen und weniger stationäre Betten nötig sind. Das Personal werde dann in die grossen Zentren verschoben. Wer also in Heiden eine Stelle hatte, kann eine in der Stadt St. Gallen finden. Wie wichtig es ist beim Schichtbetrieb kurze Arbeitswege zu haben, um etwa Familie und Beruf zu vereinbaren, bleibt dabei aussen vor. Dass mit mehr ambulanten Behandlung, die Spitex dementsprechend aufgestockt werden muss, ebenso.